Christian Seiler ist Objektleiter der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Wünsdorf. Nachdem er bereits in Afrika, Asien und Osteuropa gelebt und gearbeitet hat, war es für den 51-Jährigen ein besonderes Anliegen, die Objektleitung der Einrichtung zu übernehmen. Im Gespräch hat er uns erzählt, wie ihm seine interkulturellen Erfahrungen im Arbeitsalltag helfen, wie herausfordernd die Corona-Pandemie für ihn als Objektleiter war und warum ihn kleine Freundschaften zu Kindern von Bewohnenden immer wieder berühren.
Hallo Herr Seiler, Sie sind seit 1. November 2018 Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Wünsdorf. Was hat Sie damals bewegt, den Job anzugehen?
Von 2001 bis 2016 habe ich fast ununterbrochen im Ausland gearbeitet. Ich war für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit und andere internationale Organisationen im Einsatz – in Afrika, Asien und Osteuropa. Natürlich hinterlässt das Spuren und der Blick auf die Welt ändert sich. Als im Herbst 2018 die Stelle als Objektleiter ausgeschrieben wurde, war ich natürlich sehr daran interessiert, wieder im „internationalen“ Kontext zu arbeiten. Das fehlte mir dann doch sehr. Ich kenne viele Fluchtgründe aus eigener Anschauung und habe auch im Ausland als Büro- und Teamleiter gearbeitet. Das passte also.
Inwiefern ähnelt der Beruf des Objektleiters dem des Wirtschaftsförderers, den Sie vorher im Jüterboger Rathaus bekleidet haben?
Gemeinsam ist die Arbeit mit Menschen und deren Interessen. Die Bewohnenden wie auch meine Mitarbeitenden haben Interessen und Bedürfnisse. Diese immer in Einklang zu bringen und dabei zu unterstützen und Möglichkeiten der Selbsthilfe aufzuzeigen, ist ähnlich. Die Rahmenbedingen der Menschen sind dagegen äußerst unterschiedlich.
Vor ihrer Tätigkeit in Wünsdorf waren sie im Ausland tätig, haben in Indonesien, Uganda und Afghanistan gelebt und gearbeitet. Inwiefern helfen Ihnen ihre Auslands- und interkulturellen Erfahrungen bei der Arbeit als Objektleiter, bei der Arbeit in der Einrichtung?
Auch in Laos und in der Ukraine habe ich eine ganze Weile gelebt und gearbeitet. Wie schon angedeutet, helfen mir diese Erfahrungen wirklich sehr. Wir sind in der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Wünsdorf ein interkulturelles Team. Meine Mitarbeitenden kommen aus 13 verschiedenen Ländern und wir decken 15 Sprachen ab. Das macht unglaublich viel Spaß, in einem solchen Team zu arbeiten. Aber es ist auch manchmal nicht einfach, da eben viele verschiedene Kulturen aufeinandertreffen. Und dies immer im Hinterkopf zu haben und auch annehmen zu können, habe ich im Ausland gelernt. Meine innere Ausgeglichenheit, die ich mir wohl aus meiner Zeit in Südostasien mitgebracht habe, hilft mir vor allem auch in arbeitsintensiven und stressigen Situationen.
Was heißt es, Objektleiter in der Erstaufnahmeeinrichtung in Wünsdorf zu sein?
Ich bin dafür verantwortlich, dass alle Bereiche der Einrichtung funktionieren: für die Wirtschaftsplanung, die Personalauswahl sowie die Koordination von Verwaltungsabläufen innerhalb der Einrichtung. Konkret bedeutet dies neben vielen Mails, Listen und Telefonaten natürlich das Gespräch mit den Mitarbeitenden, der Geschäftsführung, unserem Auftraggeber und unseren Subunternehmen. Bei Problemen und Konflikten in der Einrichtung bin ich die letzte Eskalationsstufe und am Ende bin ich für die Fürsorge meiner Mitarbeitenden verantwortlich. Das alles geht nicht ohne das gesamte Team. Der Job ist nur was für Teamplayer. Und: Man weiß morgens nicht, was passieren wird und jeder Tag bringt neue Themen und Herausforderungen.
Ich komme in der Regel gegen halb acht in die Einrichtung und gehe um fünf. Manchmal früher, manchmal später. Mein Telefon ist aber tatsächlich 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche an. Und klingelt auch mal abends und am Wochenende.
Seit Anfang 2020 prägt die Corona-Pandemie das Alltagsleben in weiten Teilen der Welt, seit März 2020 das Leben in Deutschland. Können Sie in Worte fassen, wie herausfordernd die Corona-Situation für Sie als Objektleiter war und ist – und worin diese Herausforderung bestand, weiterhin besteht?
Ganz ehrlich, aber da geht es wohl so einigen Menschen ähnlich: Noch so ein Jahr brauche ich nicht. Neben den organisatorischen Herausforderungen war sicherlich die emotionale Belastung für uns alle nicht einfach. Es war ja nicht nur am Arbeitsplatz belastend, sondern auch im privaten. Man hat bei den Mitarbeitenden und auch bei sich selbst gemerkt, dass der fehlende Ausgleich wie Urlaubsreisen, ein Besuch im Restaurant und andere Freizeitaktivitäten an die Substanz gingen. Am schwierigsten war die Situation aber sicher für die Eltern unter uns und die Kinder – fehlende Schule, eingeschränkte Kitabetreuung etc. Das ließ viele an ihre Grenzen gehen.
Ich muss aber auch sagen: Organisatorisch hat das ganze Team der DRK Flüchtlingshilfe am Standort Wünsdorf Großes geleistet und trotz der massiven Einschränkungen unseren Bewohnenden eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung gesichert. Ich bin überzeugt, dass eine solche Krise auch ein Team zusammenschweißt. Es macht mich stolz, wenn man sich auf seine Mitarbeitenden verlassen kann. Und das war eine wirklich gute Erfahrung.
Im November 2021 sind Sie drei Jahre Objektleiter der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Wünsdorf. Im Rückblick: Welche Entwicklungen der Einrichtung machen Sie froh, welche sehen Sie kritisch? Und nach vorne geblickt: Wo sehen Sie Potentiale, um die Bedingungen in der Einrichtung für Mitarbeitende und Bewohnende noch lebenswerter zu machen?
Die Rahmenbedingungen in Wünsdorf sind weiterhin sehr gut, sowohl für unsere Bewohnenden als auch für die Mitarbeitenden. Wir haben uns als Organisation weiterentwickelt und sind meiner Meinung nach professioneller geworden. Daran wollen wir anknüpfen. Dinge kontinuierlich zu hinterfragen und dabei festzustellen, dass es gut ist, wie es ist oder manchmal verbessert werden kann, ist und bleibt unsere Herangehensweise.
Wie stehen Sie als Objektleiter im Kontakt zu Bewohnerinnen und Bewohnern?
Aufgrund meiner Rolle habe ich vor allem mit Bewohnenden Kontakt, die einen besonderen Betreuungsbedarf haben. Natürlich bin ich aber auch auf dem Gelände viel unterwegs und ich esse in der Mensa mit den Bewohnenden. Dort werde ich regelmäßig angesprochen und auch gezielt als Objektleiter angefragt. Ich selbst spreche fließend Englisch und recht gut Indonesisch. Letzteres hat mir im Arbeitsalltag in der Erstaufnahmeeinrichtung allerdings bisher nicht geholfen. Da aber mein Team fast alle Sprachen abdeckt, stehen mir immer Mitarbeitende unterstützend zur Seite, wenn ich Übersetzungshilfe brauche.
Möchten Sie eine kurze Geschichte aus dem Alltag in der EAE erzählen, an die Sie sich gerne erinnern?
Die schönsten Geschichten sind die, bei denen wir es gemeinsam schaffen, Bewohnenden, die besondere Herausforderungen haben, zu helfen. Da gab es glücklicherweise in der Vergangenheit so einige, die aufgrund ihrer psychischen oder physischen Situation ansonsten „durch das Raster“ gefallen wären. Zu sehen, wie die eigene Hilfe und Unterstützung dafür sorgt, dass es Menschen besser geht, macht mich froh und motiviert ungemein.
Als Vater eines kleinen Sohnes berühren mich auch kleine „Freundschaften“ mit Kindern. Es ist traurig und schön zugleich, wenn sie nach ihrer Zeit bei uns in Wünsdorf zum Transfer in den Bus steigen, der sie zum nächsten Punkt ihrer langen Reise in den Landkreis bringt.
Lesen Sie auch: