Für Houidah Walid ist das Mobiltelefon lange Zeit die einzige Möglichkeit, um mit ihrem Sohn in Syrien und ihrem Mann in Griechenland in Kontakt zu bleiben. Auf der Flucht wurde die Familie getrennt. Beim DRK-Suchdienst findet die Mutter Hilfe.
Als Houidah Walid das erste Mal in die Beratungsstelle des DRK-Landesverband Brandenburg kommt, will die Leiterin des Suchdienstes, Stefanie Lewis, ihr keine falschen Hoffnungen machen. Aus Erfahrung weiß sie, dass die Chancen für einen Familiennachzug mit Houidahs Aufenthaltstitel nicht gut stehen. Houidah ist eine starke Frau. Sie lacht viel. Aber die erste Zeit in Deutschland war für sie nicht leicht. Als sie anfängt, Stefanie Lewis ihre Geschichte zu erzählen, davon, dass sie sich große Sorgen um ihren Sohn Ahmad macht und ihr Mann mit zwei Kindern in Griechenland feststeckt, rollen ihr viele Tränen über die Wangen.
Houidah Walid kommt aus Deir ez-Zor. Die Provinzstadt an den Ufern des Euphrats war vor wenigen Jahren blühendes Zentrum im Osten von Syrien. Im Sommer 2015, nach vier Jahren anhaltenden Konflikten und Bombardements, klettern die rund 300.000 verbliebenen Bewohner über graue Ruinen und staubige Schutthaufen. Eingekesselt zwischen Assads Truppen und Islamischem Staat ist die humanitäre Lage katastrophal: Es gibt kein sauberes Wasser, kaum Essen und keine medizinische Versorgung. Anfang August 2015 schafft das Assad-Regime schließlich einen schmalen Korridor, aus dem Frauen, Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren hinausgelangen.
Sohn Ahmad bleibt allein zurück
Darunter auch Houidah mit ihren drei Töchtern Rabi (14), Qamar (5) und Rana (3). Sie fliehen zu Fuß in die 60 Kilometer entfernte Türkei. Von da geht es mit dem Schlauchboot nach Griechenland, weiter über die Westbalkanroute, bis sie Ende Oktober 2015 in Deutschland ankommen. Seit Beginn der gewaltsamen Konflikte in Deir ez-Zor 2011 fühlen sie sich das erste Mal wieder sicher.
Auch Houidahs Mann Omar mit Tochter Safiye (13) und Sohn Amir (9) schaffen wenig später den Weg über die Syrische Grenze. Amir ist zuckerkrank und braucht dringend Medikamente. Aber ihr 15-jähriger Sohn Ahmad darf Al Rakka nicht verlassen. Er soll für „Daesh“ kämpfen, den Islamischen Staat, wie Houidah 10 Monate nach ihrer Flucht aus Syrien in der Beratungsstelle des DRK-Suchdienst berichtet.
Ein Übersetzer hat ihr vom Suchdienst erzählt und davon, dass das Rote Kreuz nicht nur Menschen bei der Suche nach Vermissten hilft, sondern auch Familien zusammenführt. Houidah verliert nicht viel Zeit. Kurz darauf sitzt sie in Stefanie Lewis‘ Büro in der Geschäftsstelle des DRK-Landesverband Brandenburg.
Houidah ist es gemeinsam mit ihren noch in Syrien lebenden Brüdern zwischenzeitlich gelungen, Ahmad vom Islamischen Staat freizukaufen. Von Al Rakka konnte er auf einem Gemüselaster nach Damaskus fliehen und vorerst bei Houidahs Familie unterkommen. Aber die Lebensmittel sind knapp, und das Leben in Syrien schwer und gefährlich. Wenn Houidah Walid mit Ahmad telefoniert, weint er.
„Absage einfach nicht akzeptiert“
Kurz nach ihrem ersten Treffen mit Houidah Walid beantrag Stefanie Lewis bei der Potsdamer Ausländerbehörde ein Visum aus humanitären Gründen, ihre einzige Chance. Es folgen zahlreiche Ämtergänge und Telefonate. Houidah kommt jede Woche in Stefanie Lewis‘ Büro, um das weitere Vorgehen zu besprechen. „An einem Tag war die dreijährige Rana so erschöpft, dass sie auf dem Schreibtisch eingeschlafen ist“, erzählt Lewis.
Zuerst sieht alles ganz gut aus. Die Ausländerbehörde Potsdam erteilt ihre Vorabzustimmung, dass sie für den Unterhalt von Ahmad aufkommt. Um Ahmad nach Deutschland zu holen, brauchen Sie einen Termin bei der Deutschen Botschaft in Beirut. Mitte Oktober kommt die Absage: Für subsidiär Schutzberechtigte ist der Familiennachzug bis März 2018 ausgesetzt.
Stefanie Lewis lässt sich nicht beunruhigen. „Nach dem weiten Weg, den wir schon gegangen sind, habe ich die Absage einfach nicht akzeptiert“, sagt sie. Lewis schickt eine lange Erklärung an das Auswärtige Amt. Danach vergehen weitere Tage und Wochen mit Warten.
Anfang Dezember sitzt Lewis im vollbesetzten Zug nach Hause, als die Deutsche Botschaft aus Beirut anruft. Die Verbindung ist schlecht und bricht immer wieder ab. Die Dame am Telefon bestätigt einen Termin für Ahmad. Er soll am 15. Dezember 2016 nach Beirut kommen. Kurz darauf stellt Lewis fest, dass Ahmads Name in den Grenzdokumenten falsch geschrieben ist. Die Dokumente sind schon an der Grenze. Ahmads Termin muss verschoben werden.
Wenige Tage später bestätigt die Botschaft für den 23.Dezember einen neuen Termin. Für Houidah ist die Ungewissheit kaum auszuhalten. Ahmad muss sehr früh aufstehen und mit dem Taxi die syrische Grenze überqueren, ein nicht ungefährlicher Weg. Sie schreibt mit Stefanie Lewis fast stündlich SMS.
Ahmad erreicht die Deutsche Botschaft pünktlich zum Termin. Am 16. Januar 2017 darf er ausreisen. Wenige Stunden später kann Houidah ihren Sohn nach eineinhalb Jahren wieder in die Arme schließen. Anfang Februar dürfen auch Omar, Amir und Safiye über das Dublin-III verfahren nach Deutschland reisen, das Lewis‘ Kollegin Christiane Uhlig in die Wege geleitet hat. Als wir Houidah fragen, was ihr in all der Zeit ohne ihre Familie Kraft gegeben hat, zögert sie nicht lange: „Allah und Stefanie!“.
Autor/in: Jolina Flötotto, DRK-Landesverband Brandenburg
Fotos: Jolina Flötotto, DRK-Landesverband Brandenburg